Editorial

Wie wir die Welt sehen, hängt nicht zuletzt davon ab, was wir von der Welt sehen. Das ist banal, aber folgenreich. Im letzten Heft haben wir diese Perspektivengebundenheit anhand von Weltkarten anschaulich machen wollen; die Karten, die von bestimmten Sehepunkten gezeichnet waren, rahmten die Beiträge des thematischen Schwerpunkts von Heft 20, dem Erkenntnispotential globaler Perspektiven auf die Rechtsgeschichte.

Dieses Heft 21 der Rechtsgeschichte – Legal History wird von Fotos begleitet, die in ganz anderer Weise auf die Kontingenz von Weltsichten hinweisen. Sie zeigen die wichtigsten Wissensspeicher, die wir für unsere Rechtsgeschichten nutzen: Texte und die in Texten beschriebenen Kontexte von Recht. Sie führen vor Augen, wie diese Medien geordnet, aufgereiht, entnommen werden; dass manchmal leere Regale bleiben, vergessene Winkel, dunkle verstaubte Ecken, weil sich niemand mehr interessiert. Nicht nur in der Bibliothek gilt: Wird ein Buch falsch klassifiziert oder verstellt, mag das in ihm enthaltene Wissen sehr lange verloren sein. Mit dem Umzug in einen Neubau am Rande des Campus Westend der Goethe Universität in Frankfurt wechselten auch die über 400.000 Bücher des Max-Planck-Instituts ihren Ort. Christiane Birr hat diese Umordnung, Neuaufstellung, den Transport von Wissen für die print-Version unserer Zeitschrift dokumentiert.

Auch die Beiträge im Heft bemühen sich um einen solchen Transport und um eine fruchtbare Umordnung, Neuaufstellung von historischem Wissen. In der Recherche versuchen drei Aufsätze – der mit Rg 20 begonnenen neuen Konzeption folgend – die Ergebnisse jüngerer rechtshistorischer Forschung zu wichtigen größeren Fragestellungen zusammenfassend darzustellen. Zwei von drei Beiträgen widmen sich auf den ersten Blick zwar sehr preußischen Themen, erzählen aber Geschichten, die weit über diesen Raum hinaus Bedeutung haben. Thorsten Keiser gibt einen Überblick über die Rechtsgeschichte der Arbeit zwischen Früher Neuzeit und Moderne im deutschsprachigen Raum – schreibt damit zugleich über Vertragszwang und Vertragsfreiheit, letztlich über Freiheit und Zwang zur Arbeit und der Rolle des Rechts. Milan Kuhli widmet sich einer Zentralfigur der preußischen Rechtsreformen des späten 18. Jahrhunderts, Carl Gottlieb Svarez, und dessen Bemühungen, den Herrscher des aufgeklärten Absolutismus rechtlichen Bindungen zu unterwerfen. Ignacio de la Rasilla del Moral führt in die Wissenschaftsgeschichte des Völkerrechts im 19. Jahrhundert in der spanischen Welt ein – ein bisher eher wenig beachteter Zugang zur Geschichte des Völkerrechts, der auf die Bedeutung der unterschiedlichen regionalen Traditionen für die Emergenz dieses besonders dynamischen Feldes der Regulierung hinweist.

Für den Fokus ›Taufe und Recht‹ sind einige von der rechtshistorischen Forschung eher selten konsultierte Bücher zur Hand genommen und rechtshistorisch gelesen worden: Es geht um die Rechtswirkungen der Taufe. Wie sehr unser Bild selbst klassischer Themen der Rechtsgeschichte wie etwa der historischen Formen der Konstituierung von Rechtsfähigkeit von einem säkularisierenden Blick geprägt ist, erläutert Christoph H.F. Meyer in seinen einführenden Bemerkungen. Diesen folgen zwei Beiträge zur Geschichte der Taufe aus dem Forschungsfeld ›Recht als Zivilisationsfaktor im ersten Jahrtausend‹ am Max-Planck-Institut – sein eigener sowie einer von Wolfram Brandes. Richard Helmholz’ Blick auf das klassische kanonische Recht vergleicht Taufe und Ehe in ihrer Rechtswirkung, Christiane Birr und Michael Sievernich widmen sich der Taufe in der Neuen Welt, insbesondere mit einem Bezug auf die Schule von Salamanca. Die Beiträge sind die ausgearbeiteten Fassungen der Vorträge auf einer Sektion auf dem Historikertag 2012 in Mainz.

Auf diesem brachte Wolfram Brandes auch einen Aspekt zur Sprache, den wir als Marginalie publizieren: Welche Argumente, vor allem aber auch welche Absichten hinter der Vorstellung der ›Familie der Könige‹ standen, die Franz Dölger 1940 als Institution mit Rechtswirkung bezeichnet und in die mediävistische Forschung eingebracht hatte. Auch die andere Marginalie steht in engem Bezug zum Fokus ›Taufe und Recht‹, zum Forschungsfeld ›Recht als Zivilisationsfaktor im ersten Jahrtausend‹ sowie unseren Bemühungen um ein besseres Verständnis der Herausbildung von Rechtsräumen: ein Bericht über die Entdeckung einer Taufpiscina in Ingelheim – und die Folgerungen, die sich an einen solchen Fund | knüpfen. Es ist zugleich ein gutes Beispiel für die Bedeutung archäologischer Funde für die Rechtsgeschichte, deren Quellen eben nicht allein in den Büchern liegen!

Für das Forum haben wir eine Reihe von Kolleginnen und Kollegen um eine Relektüre von Harold J. Bermans Werk gebeten. Vor inzwischen 30 Jahren, 1983, erschien sein vielleicht wirkungsvollstes Buch Law and Revolution. The Formation of the Western Legal Tradition. Es wurde in viele Sprachen übersetzt und ist – ungeachtet mancher Kritik gerade von Seiten der deutschsprachigen Mediävistik und Rechtsgeschichte, aber auch der großen geopolitischen Veränderungen seit seinem ersten Erscheinen – zu einer einflussreichen und breit rezipierten Darstellung der Rechtsgeschichte ›des Westens‹ geworden. Es nimmt vieles auf, was Berman bereits 1974 in The Interaction of Law and Religion formuliert hatte und bereitet vor, was er 2003 in Law and Revolution II: The Impact of the Protestant Reformations on the Western Legal Tradition zusammenfasste. Wir freuen uns, dass wir eine Reihe von gedankenreichen Auseinandersetzungen mit seinem Werk publizieren können, aus seiner Wirkungsstätte in Atlanta, aus Frankfurt, Warschau oder Bejing.

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